„Ehrenamt ist zu nebensächlich“

Freiwillig etwas für andere leisten, stärkt den Zusammenhalt aller. Der Tag des Ehrenamtes würdigt zivilgesellschaftliches Engagement, das sich, im reformatorischen Kontext gelesen, auf das Prinzip der Nächstenliebe gründet. Junge Menschen in Deutschland sind im direkten Vergleich der Generationen spitze im Ehrenamt, jeder Zweite wendet einen Teil der eigenen Freizeit auf, um für Mitmenschen da zu sein. Mädchen sogar noch häufiger als Jungs. Eine Statistik, die der gesellschaftlichen Wahrnehmung widerspricht, dass junge Menschen nur mit sich selbst beschäftigt sind. Nikolas Karanikolas, Student aus Rheinstetten bei Karlsruhe, setzt sich für benachteiligte Kinder und Jugendliche ein, etwa für die bessere medizinische Versorgung Jugendlicher in Westafrika. Er bemerkt: Organisationen und Freiwillige finden noch viel zu selten zueinander. 

Nikolas, junge Menschen begegnen dem Ehrenamt häufig zuerst in der Familie. Haben Dir Deine Eltern zivilgesellschaftliches Engagement vorgelebt?
Nikolas Karanikolas: Meine Mutter ist alleinerziehend und voll berufstätig, was es ihr zeitlich unmöglich macht, sich etwa in einem Verein zu engagieren. Daran denkt man ja zunächst beim Stichwort Ehrenamt. Dennoch hat sie mir und meinen beiden Geschwistern das „Prinzip“ Engagement und was es mit Gemeinschaft macht, vermittelt. Meine Mutter hat mir Werte vorgelebt und mich bestärkt, sie zu leben. Das finde ich, muss man berücksichtigen, wenn man über zivilgesellschaftliches Engagement spricht.

Dein Vater stammt aus Griechenland. Wie geht man dort mit dem Thema Ehrenamt um? Gibt es vergleichbare Strukturen wie bei uns in Deutschland oder wohin wenden sich Menschen, wenn sie sich engagieren wollen?
Ich kann jetzt nur mit Sicht auf die Heimatinsel meines Vaters sprechen. Leros ist eine Insel in der Ägäis und eine Art Mikrokosmos. Engagement beschränkt sich dort eher auf die Bereiche Kirche und Sport, da es sonst nicht sonderlich viele Institutionen oder Vereine gibt. Ehrenamt gibt es auf jeden Fall nicht im gleichen Maße wie in Deutschland. Was sicher den sozialen Umständen geschuldet ist: Ein griechischer Jugendlicher weiß, dass er aktuell wenig Perspektiven hat und höchstwahrscheinlich auf die Arbeitslosigkeit zusteuert. In meiner Generation herrschen dort massive Zukunftsangst und hoher Leistungsdruck.

Bitte beschreibe kurz Dein Engagement im Jugend-Sozialverein Deiner ehemaligen Schule in Karlsruhe. Was hast Du da genau gemacht?
In war zwei Jahre lang im Vorstand aktiv. Mittlerweile habe ich Abi gemacht und bin einfaches Mitglied, weil der Vorstand den Schülern vorbehalten ist. Der Verein übernimmt soziale Verantwortung. Ein Projekt auf das ich stolz bin und das mir besonders am Herzen lag war, dass wir durchbekommen haben, dass es im unseren Jahrgang erstmals Fair-Trade-Abi-Pullis gab. Das war ein größerer Kampf als es sich anhört, einen Aufpreis von zwei Euro für faire Produktionsbedingungen zu bezahlen, hat nicht jeder Schüler sofort eingesehen.

Wenn junge Menschen sagen: „Ich würde mich gerne engagieren, aber kann mich nicht für ein Jahr oder länger festlegen“, müsste es mehr zeitlich befristete Ehrenämter geben?
Es gibt kurzfristige Möglichkeiten, etwa Veranstaltungen oder Aktionen bei denen jede helfende Hand willkommen ist. Das Problem ist, dass Organisationen und Helfer häufig nicht zusammenfinden. Aushänge werden kaum gelesen, Werbung ist teuer und dadurch für kleine Initiativen und Vereine keine Option. Vielleicht kann die Politik eine Kommunikationsform schaffen?

Du studierst Jura an der Fernuniversität Hagen. Hast Du trotz Studium und freiwilligem Einsatz Zeit für Dich oder bleibt auch mal was liegen?
Bleibt es, aber allzu schlimm ist das nicht. Ich muss Abstriche machen, weil ich nebenher noch jobbe, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Ich könnte mir vorstellen, dass genau das viele vom sozialen Engagement abhält und sehe da wirklich Handlungsbedarf. Die Stipendienlandschaft in Deutschland ist vielfältig und überall wird von der Berücksichtigung des Ehrenamtes gesprochen, aber immer erst im zweiten Schritt. Zunächst geht der Blick auf die Noten, dann – vielleicht – auf das außerschulische Engagement.

„Mensch, Martin!“ befasst sich mit der Reformation als Veränderungsbewegung, aus der unsere demokratischen Werte hervorgegangen sind. Welche Art Veränderung hat Dein Einsatz bewirkt?
Ein schönes Erlebnis hierzu hatte ich in Griechenland, während eines Besuchs bei meiner Tante auf Leros. Deren Tochter, meine Cousine, habe ich eines Tages mit in eine Einrichtung für Flüchtlinge genommen. Sie half dort dabei, Kindern Schwimmen beizubringen. Sie macht das bis heute. Meine Tante wurde neugierig, war vom Einsatz ihrer Tochter begeistert und ließ sich anstecken. Mittlerweile weiht sie geflüchtete Frauen in die Geheimnisse der griechischen Küche ein. Ich finde Reformation im Sinne von Veränderung passiert immer dort, wo sich jemand eingagiert.

Um junge Menschen zu motivieren, sich einzubringen – was wäre Dein Wunsch, dass die Politik verbessert, um Wertschätzung für das Ehrenamt zu zeigen?
Ein Ehrenamt kostet Zeit. In unserer Leistungsgesellschaft leidet dann etwas anderes wie die Schulnoten. Für den Numerus Clausus des Studienfachs oder das Bewerbungsgespräch im Ausbildungsbetrieb, ist soziales Engagement zu nebensächlich. Das muss sich ändern.

Fotos: Privat

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