Dass Martin Luthers Reise am 31. Oktober 2017 nicht vorbei ist, steht fest. Dass Lars Fischer seinen Namen nie mehr in eine Suchmaschine eintippen wird, ohne Dutzende Reformations-Treffer zu landen, auch. Sein Luther ist voraussichtlich noch eine ganze Weile beschäftigt, sich herumzutreiben. Immerhin setzt er hie und da ein Lebenszeichen ab. Das dokumentiert Lars Fischer. Gemeint ist die digitale Route einer Spielzeugfigur, die der Geocaching-Fan vor anderthalb Jahren Kurs auf Reformationsstätten in Deutschland nehmen ließ. Doch Luther wich ab.
„Dortmund hatte ich nicht auf dem Zettel“, flachst Lars Fischer. Dem Reformator schien die Schleife aber gefallen zu haben, fast ein Jahr lang war er im Ruhrgebiet auf Achse. „Der Weg ist das Ziel. Hauptsache, er wandert nicht ins Ausland ab.“ Von 36 Reformationsorten, die Fischer im Sinn hatte, stattete der Mini-Martin bislang 20 einen Besuch ab. Zuletzt meldete sich ein Geocacher, der die Figur in Nürnberg abgeholt und ins bayerische Kulmbach gebracht hatte. Jeder, der mit einem Geocaching-Profil registriert, GPS-technisch ausgerüstet ist und Spaß am Schnitzeljagd-Prinzip hat, kann die Figur bewegen, sie suchen, finden, aufsammeln und wieder absetzen. Martin Luther ist ein Tramper, der sich an einem der geschätzt 300 000 Caches in Deutschland aufhalten kann. „Das ist die höchste Dichte weltweit nach den USA“, sagt Lars Fischer.
Vom Schreibtisch aus hält der 25-jährige Brandenburger, der bei der Verwaltung seiner uckermärkischen Heimatgemeinde angestellt ist, dem reisenden Reformator den Rücken frei. Er vermerkt, wann Luther wo gesichtet wird. Der Kontakt zu Kollegen ergibt sich:
„Ich staune, wie viele Geocacher einen Bezug zur Kirche haben. Es meldeten sich auch Leute, die den Luther-Cache gar nicht zu Gesicht bekommen haben. Einfach, weil sie die Aktion gut finden.“
Seine Idee hat Fischer ein gehöriges Medienecho beschert. Den Status regionaler Berühmtheit in der Uckermark nimmt er locker. „Die Frage, ob Hollywood schon angerufen habe, wurde mir auch gestellt. Nein. Aber mich freut enorm, welche Kreise das Projekt zieht. In Hohenselchow wird es in die Geschichtsbücher eingehen“, scherzt sein Spiritus rector.
Die sieben Zentimeter große Lutherfigur trampt – stilecht – mit einer passgenauen Minibibel und – weniger stilecht – mit einer Metallplakette, auf der ein Code vermerkt ist. Der so genannte Travel Bug verschafft Lars Fischer Zugang zu Luthers Reiseroute. Darauf Einfluss nehmen kann er jedoch nicht. Auch, ob der Reformator zu ihm zurückkehrt, ist offen. Doch bislang hat alles funktioniert, warum nicht auch das. Geocacher sind Menschen mit Gemeinsinn.
In Lars Fischers Heimatgemeinde gehört die GPS-basierte Schnitzeljagd seit 2015 zum festen Programm von Wanderungen und Rüstzeiten. Alle Jugendlichen kann auch Geocaching nicht binden, aber es schafft Momente, die nachwirken. Tatsächlich meldeten sich auf Medienberichte über den reisenden Reformator gebürtige Uckermärker aus der ganzen Bundesrepublik, schrieben Lars Fischer E-Mails, schickten ihm Links oder Zeitungsausschnitte. Er ist nach seiner Ausbildung geblieben, „weil ich fand, dass nicht alle weggehen dürfen. Kann doch nicht sein, dass unsere Orte Geisterstädte werden“. Das ist ihm ein Anliegen, weshalb sich der junge Mann ehrenamtlich in der Jugendarbeit einbringt: „Die Jugendlichen sind dabei, bis sie konfirmiert werden. Dann fangen sie eine Ausbildung an und tauchen unter. Damit darf man sich nicht abfinden. Die können auch wieder auftauchen.“ Kontakt halten, verbindlich sein, reale und soziale Netzwerke nutzen, auf diese Weise versucht Lars Fischer dranzubleiben an der jungen Generation. Seinem Luther-Cache folgen auf Facebook-Seite inzwischen aber auch Menschen, für die der Landstrich zwischen Berlin und Ostsee erst aufs Radar gerückt ist. Denn Luther war hier.
Fotos: Sebastian Kühl / Privat