Die evangelische Akademie Thüringen lud junge Erwachsene aus ganz Europa ein, im August 2017 nach Eisenach zu kommen – zum Wartburgfest reloaded. Das Treffen galt Europas Zukunft und stellte die Frage, welche Gestalt und welche Basis sich die junge Generation für ihren Kontinent wünscht. Das Format nahm sowohl Bezug auf die Reformation als auch auf das historische Wartburgfest von 1817, bei dem schon einmal Sinn und Struktur staatlicher Autoritäten am gesellschaftlichen Ist-Zustand peer to peer gemessen worden waren.
Ich bin Janis Fifka, 24 Jahre alt, und studiere Politikwissenschaft und Geschichte in Münster. Ein fun fact über mich ist: Ich trinke keinen Kaffee – und mein Leben funktioniert trotzdem. Das Konzept des Wartburgfests reloaded gefiel mir, weil wir uns mit aktuellen Fragen des Nationalismus und der Demokratie in Europa kritisch auseinandersetzen würden. Das hat mich angesprochen. Also habe ich mich als Teamer für die Demokratielabore beworben.
Mit der Reformation habe ich mich bislang eher nicht befasst. Meine Mutter kommt aus einer katholischen Familie, aber sie wollte, dass ich einmal selbst über meinem Glauben entscheide. Deshalb wurde ich nicht getauft und bin es bis heute nicht. Ich schätze das sehr. Ich finde, dass man manchmal ganz gut ohne Zuordnung auskommt. Meine Mutter war alleinerziehend, ich bin zu Schulzeiten früh den Hort gewohnt gewesen. Das hat bei mir bewirkt, dass ich mich in vielen AGs eingebracht und dadurch Werte mitbekommen habe, die man vielleicht in einer christlichen Erziehung wiederfindet. Mir ist klargeworden, dass viele Menschen nicht mit den Chancen aufwachsen, die ich hatte. Das ist ein Zustand, der mich nachdenklich macht: Die Motivation sich zu beteiligen setzt voraus, genügend Zeit und Geld zur Verfügung zu haben, oder in einem Umfeld aufgewachsen zu sein, in dem Bildung und Engagement besonders gefördert wurden.
„Europa heißt für mich, dass wir, wenn wir gemeinsam etwas erreichen möchten, frei sein sollten. Immer wenn ich Gleichaltrige aus anderen Ländern Europas getroffen habe, fiel mir auf, dass durch Grenzen viel Potential verlorengeht, im Denken und im – politischen – Handeln.“
Das Projekt Europa ist vielleicht im Großen die Chance, Herausforderungen wie die Klimarettung oder Friedenswahrung in einer Gemeinschaft von mehr als 500 Millionen Menschen zu bewältigen. Mich motiviert der Gedanke, was ein geeintes Europa für die Menschen bedeutet: ‚Mehr an Europa‘. Dafür will ich mich einsetzen. Europa ist noch nicht fertig, und gerade jetzt bedroht es ein längst überwunden gedachter Nationalismus. Ich wünsche mir eine echte Zukunftsdebatte über das, was wir in Europa erreichen wollen.
„Was junge Menschen heute verändern, macht ihre Realität von morgen aus. Warum sollte man dafür keine Kraft aufbringen wollen?“
Egal wie langeweilig, anstrengend oder kompliziert ein Projekt war, ich würde sagen, jeder nimmt etwas mit, setzt es um oder sagt es weiter. Wenn es nur der Gedanke ist: „Das hätte ich anders gemacht!“ War das nicht auch Luthers Gedanke? Reformation steckt in so vielem.
Das Wartburgfest reloaded bot einen tollen international verbindenden Ansatz. Utopisch denken finde ich wichtig. Aber mehrere Tage lang in eine andere Stadt fahren – womöglich ins Ausland – war vielleicht nicht für alle Jugendlichen problemlos möglich. Ich würde nicht sagen, dass die junge Generation unpolitisch ist, eher, dass sie vor klaren Festlegungen zurückweicht. Vieles in der Gesellschaft trimmt uns dazu, uns anzupassen, flexibel zu sein, sei es bei der Wahl des Studienfachs oder bei den Arbeitsbedingungen im Job. Dass etwas nicht auf Anhieb funktioniert, länger dauert oder sogar scheitert, ist Teil des Lebens. Aber wir bekommen es anders vermittelt. Ich neige auch dazu, unzufrieden zu sein und mir (zu) hohe Standards zu setzen, die ich nicht erfüllen kann. Mich zu beschränken und nicht gleich immer das große Rad drehen zu wollen, fällt mir schwer. Ich schaffe das eher bei Projekten, die nichts mit mir ganz persönlich zu tun haben. Aber Veränderung beginnt eben auch bei mir.
Das Wartburgfest reloaded fand aufgrund einer zu geringen Zahl interessierter Teilnehmender nicht statt. Es wurde abgesagt. Reformation klappt nicht immer auf Anhieb.
Foto: Alyona Vyschnevska