Tracking Reformation

Seit 21 Monaten pendelt Jonathan Vogelbusch (fast) täglich mit der Bahn von Leipzig nach Wittenberg – und zurück, 150 Kilometer Arbeitsweg. Sein Job: das Reformationsjubiläum. Langsam neigt sich das Großereignis dem Ende zu. Eine Bilanz.

Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr. In der Regel verlasse ich das Bett eine halbe Stunde später. Um 7.55 Uhr stehe ich am Bahnsteig. Der Zug fährt um 8.15 Uhr. Die Fahrtzeit im ICE beträgt 34 Minuten, das reicht für zwei Drittel einer Serienepisode, ein Hörbuchkapitel oder einige Artikel der digitalen Ausgabe der c’t. Der Arbeitstag lässt sich aber auch mit einem guten Gespräch unter pendelnden Kollegen beginnen. So ist die Zeit unterwegs nicht verschenkt.

Ich bin Dresdner. Beide Eltern sowie zwei Geschwister meines Vaters sind Theologen. Entsprechend präsent ist Glaube immer gewesen. Kirche findet für mich hauptsächlich außerhalb des Gottesdienstes statt. Ich glaube, unserer Gesellschaft tut es gut, dass zentrale Werte wie Nächstenliebe unser Leben bestimmen. Daran orientiere ich mich. Als sich die Gelegenheit bot, bei einem kirchlichen Großprojekt wie dem Reformationssommer dabei zu sein, musste ich mich bewerben! Gerade weil mich sonntags kein Gottesdienst mehr erreichen kann, wollte ich dazu beitragen, vielen Menschen eine Alternative im Glauben zu bieten.

 

Von meinen Zug-Begegnungen als Berufspendler erinnere ich mich besonders gerne an das intensive Gespräch mit einem – zu dem Zeitpunkt künftigen – Kollegen, der die Gelegenheit nutzte, an Insiderwissen zu kommen. Später hat er sich dafür bei mir bedankt, das war ein tolles Gefühl! Ich habe auch gemerkt, dass die Bahn pünktlicher ist, als ihr Ruf. Durch Bauarbeiten gab es zwar mehrere Wochen lang keinen Halt in Wittenberg und einige Unglücke haben meinen Arbeitsweg leider auch eingeschränkt, diese Momente bleiben im Gedächtnis. Trotzdem beeindruckt mich gerade deshalb, wie unauffällig meine 21 Monate mit der Deutschen Bahn verlaufen sind. Nicht auszudenken, die Strecke von Leipzig auf der Bundesstraße verbracht zu haben! 

Die Tagesgäste in Wittenberg haben sich auf alle Altersgruppen verteilt, würde ich sagen. Von Schülern und Studenten bis zur Rentnerreisegruppe war da so ziemlich jeder dabei. Ich werte es als Erfolg, dass auch junge Menschen und Familien im Reformationssommer nach Wittenberg gekommen sind. In der Zeit davor lag der Altersschnitt spürbar höher.

Ich glaube, Reformation ist viel mehr als Luther, aber ohne Luther ist Reformation nichts. Den öffentlichen Diskurs verständlich zu machen und dadurch mitgestalten zu können, das hat Luther zuerst riskiert. In den Jahrhunderten danach sind viele seinem Beispiel gefolgt. Die Reformation hat unsere weltoffene Gesellschaft erst ermöglicht.

Sie deswegen nur an der Person Luthers festzumachen, ist aber sicher falsch. Das Grundgesetz haben andere geschrieben. Doch gerade deshalb finde ich es angemessen, mit dem Reformationsjubiläum den Bogen zurück nach Wittenberg zu schlagen und zu schauen, was die Reformation seither durchgemacht hat.
Ich bin überzeugt, dass sich Hemmnisse am besten im Dialog überwinden lassen, und dafür haben wir unzählige Plattformen geboten. Vielleicht hat der Reformationssommer einige Ängste genommen und neue Ideen geweckt. 

Nach dem 31. Oktober 2017 wird der Besucherstrom Richtung Wittenberg abnehmen. Meine Hoffnung ist, dass auch kommendes Jahr wieder viele Menschen den Weg an die Wiege der Reformation finden. Ich werde gerne als Besucher wiederkommen. Ich möchte aber in Leipzig bleiben, also nicht etwa als Berufspendler zum Kirchentag 2019 nach Dortmund weiterziehen.

Fotos: privat / flickr / Deutsche Bahn

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