Sein Mobiltelefon lässt Thomas Schmidt auch nachts eingeschaltet. „Wenn das Handy klingelt, herrscht eine Notlage an Bord. Dann muss es schnell gehen.“ Er bezieht sich auf die Iuventa, ein Schiff, das im Mittelmeer Flüchtlinge in Sicherheit bringt. Dabei stößt die Crew bisweilen an ihre Grenzen. „Einmal hatten wir 300 Leute an Deck und ein Sturm zog auf.“ Das war der Moment des Notrufs.
Thomas sagt „wir“ obwohl er nicht vor Ort ist, sondern das Projekt Jugend rettet von Deutschland aus unterstützt. Zehn SOS-Anrufe wie diesen erhielt er voriges Jahr. Der junge Mann informierte daraufhin die Seenotleitzentrale in Italien, die ein größeres Schiff schickte, um die geflüchteten Menschen aufzunehmen. „Für eine so hohe Anzahl Personen ist die Iuventa nämlich nicht ausgelegt.“ Das wiederum kann er genau beurteilen, Thomas Schmidt war im Juni 2016 an der Instandsetzung des niederländischen Fishtrawlers beteiligt. Ehrenamtlich. „Die Mission, Leben zu retten, war Motivation genug“ für den Bootsbauer.

Seitdem das Schiff unterwegs ist, sorgt Thomas dafür, „dass Ersatzteile vorrätig und der Betrieb sichergestellt sind. Ich bin der Problemlöser der Crew.“ 40.000 Euro kostet die 1962 erbaute Iuventa monatlich Unterhalt.“ Finanziert wird sie durch Spenden. Die Mannschaft bilden junge Erwachsene aus ganz Europa, 14 Besatzungsmitglieder wechseln sich im Abstand von drei Wochen ab, wenn das Schiff auf Malta vor Anker geht. Dass Thomas an Land blieb, hängt auch mit seinem Studienabschluss in Schiffbau- und Meerestechnik an der Universität Bremen zusammen. Den will er in ein paar Monaten in der Tasche haben.
„Dass ich einmal Boote baue, um mich über Wasser zu halten, stand früh fest“, erzählt der gebürtige Brandenburger. Mit 15 Jahren machte er den Segelschein, nach dem Abitur zog er vom Rande des Spreewaldes zur Ausbildung an die Küste, zunächst nach Lübeck, dann nach Bremen. Elf Jahre sind seitdem vergangen, längst klingt Thomas wie ein Einheimischer, am Telefon begrüßt er Anrufende munter mit „moin“. Ehrenamtlich engagiert sei er zuvor nie gewesen. „Als Schüler war ich im Leichtathletik und hatte ehrenamtliche Trainer. Abgefärbt hat das nicht. Auch mein politisches Interesse hielt sich in Grenzen.“
Die Flüchtlingskrise änderte das. Die Bilder verzweifelter Menschen und gekenterter Schlauchboote prägten sich ein. Er kontaktierte Hilfsorganisationen, stieß auf Jugend rettet. Kurze Zeit darauf packte er seinen Rucksack und fuhr nach Emden, um die Iuventa flottzumachen. Unter 40 Freiwilligen war Thomas der einzige mit Schiffsbauerfahrung, in einem Team aus Studierenden, Handwerkern und Auszubildenden eines Autobauers, deren Chef sie zum Helfen freistellte und das Projekt auf diese Weise mittrug. Die Gruppe wohnte in der Seemannsmission der evangelischen Kirche Niedersachsen, für Thomas ein seltener Berührungspunkt mit dem Thema Glaube. „Ich bin nicht kirchlich aufgewachsen, hab‘ aber gemerkt, dass sich das Vorhaben mit christlichen Werten deckt.“ Und mit den Inhalten der Reformation.
„Es kommt darauf an, dass Menschen die Dinge anfassen, und es ihnen gelingt, andere mitzuziehen. So entsteht Neues, indem man etwas wagt. Meine Arbeit macht den Unterschied, seitdem sie unmittelbar geworden ist.“

Für den Einsatz der Freiwilligen wünscht er sich Wertschätzung seitens der Erwachsenen. Prominente Unterstützer wie die Schauspieler Jan Josef Liefers, Oliver Wnuk und Fabian Busch, haben vorgelegt. Thomas Schmidt schildert:
„Ich erlebe häufig, wie erstaunt die Leute sind, dass Jugendliche die Energie aufbringen, ein solches Projekt zu stemmen. Dass es kein Jugend forscht auf dem Wasser ist, sondern ein Versuch aktiver Weltverbesserung. Das macht man, wenn man jung ist. Deshalb heißt unser Schiff auch Iuventa, Jugend.“
Ehe der Sturm kam vorigen Sommer, waren alle 300 Flüchtlinge in Sicherheit. Thomas freut sich genauso über jeden Tag, den sein Notruf-Handy stumm bleibt.
Ostern 2017, wenige Tage nach Erscheinen dieses Beitrags, funkte die Iuventa erneut Mayday, diesmal mit rund 400 geretteten Flüchtlingen an Bord. Nach „drei dichten Tagen“, wie Thomas Schmidt die Ereignisse zusammenfasst, sind alle in Sicherheit. Am 18. April 2017 ist das Schiff wieder manövrierfähig und läuft im Hafen von Malta ein.
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