Die Reformation steht auf dem Spiel

Jung, gut ausgebildet, weltoffen – und trotzdem ohne Job. Nach ihrer Rückkehr aus Großbritannien stand Nadja Pentzlin vor genau diesem Gegensatz. Sie hatte ihr Geschichtsstudium zügig abgeschlossen und in Schottland sogar noch den Doktor draufgesetzt. Wieder in Deutschland, blieben ihre Bewerbungen dennoch erfolglos. Die 30-Jährige hat den Spieß umgedreht und ist in Speyer ihre eigene Chefin geworden. Sie hat ein Museumsprojekt zur Reformation auf die Beine gestellt, das Wissen über die Lutherzeit durch die Hintertür vermittelt. Wenn man sie findet. Mit der versteckten Fährte will die junge Katholikin den Protestanten aber keineswegs eins auswischen! Im Gegenteil. Sie wirbt für Teamarbeit.

Die will nicht nur spielen: Nadja Pentzlin hat in Speyer ihr eigenes kleines Museum zum Leben erweckt. Die Ausstellung verändert sich im 60-Minuten-Rhythmus, je nachdem, was ein Team daraus macht.

Die Reformation steht auf dem Spiel. Einen Ausweg zu finden, ist Teil des Programms im Escape&Museum in Speyer. Dahinter steckt eine temporeiche Live-Mischung aus Krimi, Schnitzeljagd und Mannschaftstrainiung hinter verschlossenen Türen. 60 Minuten bleiben jedem Team von zwei bis sechs Personen, um eine Reformationsausstellung, deren Kurator verschwunden ist, erfolgreich auf den Weg zu bringen. Die Mitspieler müssen Rätsel lösen, Texte zuordnen, gefundene Gegenstände richtig einsetzen, und logisch kombinieren. Klappt alles, steht am Ende der Ausweg (engl.: escape). „Die Mehrheit der Teams bislang hat alles geschafft“, verrät Nadja Pentzlin. Etwa 400 Gruppen hat sie schon „eingesperrt“.

Ausgerechnet gegen die Uhr geht es – als hätte die Zeit der Reformation nicht schon oft genug einen Strich durch die Rechnung gemacht. Weil das historische Ereignis weit in der Vergangenheit liegt, ist das Thema nicht unbedingt trendy. Zu Unrecht, findet Nadja Pentzlin, die ihre unkonventionelle Methode im Jubiläumsjahr 2017 gut platziert sieht:

„Reformation steht für den Mut, etwas zu wagen, die Bereitschaft, etwas zu ändern, und die Entschlossenheit, es durchzusetzen. Das gilt heute noch! Ich wünsche mir weniger Engstirnigkeit und weniger Angst vor Veränderung. Eine Veränderung ist möglich, ohne dass wir unsere Traditionen und Werte aufgeben müssen.“

Ähnlich empfindet sie ihren Entschluss, „selbst gestalterisch tätig zu werden und mein eigenes kleines Museum zu kreieren“, nicht als Verantwortungs-Last, sondern als Chance, weiterzukommen. Weil der deutschlandweite Trend der Live-Escape-Räume Nadja Pentzlin persönlich begeisterte, klinkte sie sich ein – und sorgt bei ihren Besuchern damit für Spaß an der Entdeckung von Gemeinsamkeiten. Ziemlich reformatorisch gedacht ist das für eine Katholikin, die Glaube als „einen nicht wegzudenkenden Teil meines Lebens“ einordnet und die, aufgewachsen im oberbayerischen Ingolstadt, in der Jugendarbeit der eigenen Gemeinde früh mitbekam, dass Engagement den Zusammenhalt stärkt. Wieso Werte konfessionell begrenzen? Mit jeder Einschränkung stellt man ein Stück Freiheit infrage. Nadja Pentzlin fällt dazu ihre Studienzeit in England und Schottland ein, dessen sehr viel kirchlicher sozialisiertes Hochschulleben sie genossen hat:

„Auf religiöser Seite habe ich eine sehr offene Universitätskultur erfahren. Ich ging regelmäßig in Studentengottesdienste, die Protestanten und Katholiken gleichermaßen besuchen. Niemand störte sich daran. Für mich waren das wunderbare Gemeinschaftserlebnisse.“

tuer1Macht Teamfähigkeit vielleicht auch der Ökumene Beine? Gegensätze ziehen sich an, solange es keine Extreme sind, hat Nadja Penzlin gemerkt, als sie über die Gegenreformation promovierte, „die es ohne die Reformation nie gegeben hätte. Beide Bewegungen wurden geprägt vom Beginn der Massenkommunikation durch die Erfindung des Buchdrucks; der Bildung von Netzwerken zur Verbreitung von Ideen; nicht zuletzt durch das visuelle Branding religiösen Gedankenguts, das Katholiken und Protestanten zu heftigen polemischen Gegnern machte.“

tuer2Fingerspitzengefühl füreinander, hofft sie, entwickeln die Teammitglieder 500 Jahre nach Luther spielend, egal von welcher Seite sie kommen. Die Reformation ist ihr Türöffner. Dass Pentzlin die Idee nicht etwa in Worms als DER rheinland-pfälzischen Reformationsstadt umgesetzt hat, sondern in Speyer, bedingt die Nähe zum Sitz der Landeskirche, die das Projekt fördert, und das Zusammengehen von Protestantismus und Domstadt:

„Dass wir überhaupt vom Protestantismus sprechen, hat seinen Ursprung im katholischen Speyer. Dort traten die evangelischen Reichsstände auf dem Reichstag von 1529 erstmals öffentlich für ihren neuen Glauben ein und legten Protest gegen die katholische Mehrheit ein.“

Deshalb würde die Museumschefin liebend gern den Pfälzer Kirchenpräsidenten Christian Schad und seinen katholischen Kollegen, Bischof Karl-Heinz Wiesemann, ein Spiel lang hinter Schloss und Riegel bringen, „um zu sehen, wie sie als Team harmonieren“. Wie es die Handlung vorschreibt, hält sich die Kuratorin zurück – und meldet sich nur helfend aus dem Off, wenn die Zeit knapp wird. Denn einen Ausweg gibt es immer. Den sieht Nadja Pentzlin auch für die Zeit nach 2017, wenn das Escape-Spiel ausläuft: „Ich bin offen“, sagt sie und – nach britischem Vorbild – auch etwas gelassener: „Wenn das Leben nicht ganz nach Plan verläuft, ist das für sie kein Beinbruch.  Für Briten ist es normal, mit einem Abschluss in Geschichte in scheinbar fremde Arbeitsgebiete einzusteigen. Gelernt habe ich, mit dem etwas anzufangen, was mir liegt und was ich liebe.“ Wieder klingt in Nadja Pentzlin ein bisschen Reformation nach. Obwohl ihre Wahlheimat auf Zeit aktuell einen Wandel anstrebt, mit dem sie so gar nicht einverstanden ist. Ihr Plädoyer für eine Gegenreformation 2017: „Ich würde die Entscheidung für den Brexit rückgängig machen!“

Fotos: Klaus Landry (2) / flickr (2) / privat

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