Hamburg ist durch die neue Elbphilharmonie um eine Attraktion reicher. Auch Bengt Schwarz beeindruckte der futuristische Bau am Hafen, ihn beschäftigt allerdings noch etwas: „Sitzen dort die reichen Leute auch oben und die Armen unten?“, fragt er. Kurz bevor Bengt in einer Filmszene an der Hafenpromenade steht, auf das Konzerthaus blickt und laut nachdenkt, ist er in Schleswig unterwegs. Zu dessen bedeutender Reformationsgeschichte gehört, dass König Christian III. in der Kapelle von Schloss Gottorf zwar Platz für alle Bevölkerungsschichten schuf, der Stand aber weiterhin den Unterschied machte: Oben saßen die Reichen, unten die Armen. „Mir gefällt es unten besser“, kommentiert Bengt und fotografiert mit dem Smartphone den reich verzierten Altar. Wer die Reformation im Norden Deutschlands in Gang gebracht hat, findet er im Film der Arbeitsstelle Reformationsjubiläum heraus. Martin Luther – war’s schonmal nicht! Dessen sächsische Spracheinfärbung vertrug sich nicht mit dem Tonfall der Norddeutschen.
„Luther war nie hier. Die beiden wichtigsten Reformatoren des Nordens waren Johannes Bugenhagen und Joachim Slüter“, hat Bengt Schwarz erfahren. Das Jubiläum 2017 fällt in sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) am Volkstheater in Rostock. Im Sommer wird dort ein Stück über Slüter zur Aufführung gebracht. „Mit 500 Jahren Reformation war ich vorher nicht befasst“, gesteht er. Auch die Anknüpfungspunkte in den drei Ländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, wo Luther persönlich nie in Sicht war, hatte er nicht auf dem Zettel. Obwohl die evangelische Kirche dort stark vertreten ist. Bengt entgegnet:
„Ich bin kein Kirchgänger.“
Wie christliche Werte praktisch funktionieren, hat er umso intensiver miterlebt. Seine Mutter ist Pastorin in Schwerin und begleitet Projekte mit Alten oder behinderten Menschen. Das Engagement hat der Sohn bis zum Abitur im vorigen Jahr übernommen. In Rostock fehlt ihm noch ein vergleichbarer Anknüpfungspunkt.
Dafür ist ihm der filmische FSJ-Einstand geglückt! Bengt stellt kluge Fragen zu Johannes Bugenhagens Einsatz für die Bildung im Norden und dem Einfluss des dänischen Königshauses, dessen Chef von Luthers Lehre überzeugt war und sich wiederum von Bugenhagen krönen ließ. Dass viel Info hängenbleibt, verdankt der Film Bengts witzig-lakonischen Kommentaren, live aus Rostock, Greifswald, Schleswig und Hamburg: „Kalt hier in Schleswig. Gut, dass ich meine Jacke mithabe“, entschlüpft es ihm im Hof von Schloss Gottorf. Im Hamburger Ortsteil Bahrenfeld, wo er den Luthergarten der evangelischen Kirchengemeinde gezeigt bekommt, meldet sich der „Reporter“ zu Wort mit:
„Hier gibt es sogar Hühner. Das sind sicher Lutherhühner!“
Regisseur Andreas Bell hat die Eindrücke des Jugendlichen original belassen. Dass Bengt in Jeans mit Loch, Piercing und einem Kapuzenpulli mit Pentagramm auf der Brust durchs Bild läuft, hätte Martin Luther nicht gefallen, aber es gibt es Reformationsfilm Profil. Vor allem wird er seinem Protagonisten gerecht, der die Sicht der jungen Generation überzeugend vertritt: Sie kann mit dem Jubiläum bedingt etwas anfangen, ist aber offen für das Thema. Vorausgesetzt, dass sich Räume auftun und gestalten lassen, anstatt von den Erwachsenen vorgegeben zu werden. Dafür ist das Prinzip von Reformation – Veränderung – wie gemacht. Eine These für 2017 hat Bengt schon parat: „Mehr Offenheit gegenüber Fremden!“ wünscht er sich.
Wie wirkte das Projekt auf ihn? „Ich habe bisher im FSJ mitgenommen, wie wichtig zuverlässiges Arbeiten ist“. Und wie protestantisch! Darauf hingewiesen, muss Bengt Schwarz lachen. Ein Wert in Anwendung. Ein anderer: Achtung vor der Natur. Die Frage nach seinem neu gewonnenen, liebsten Reformationsort im Norden ist fix beantwortet: „Der Luthergarten war eine tolle Erfahrung, draußen, frei – und ohne den Zwang, leise sein zu müssen wie in den Museen.“ Als Hahn im Korb bei den Lutherhühnern.
Dass ihm die Zeit in Rostock eine berufliche Perspektive eröffnet, kann sich der Mecklenburger wiederum nicht vorstellen. „Am liebsten möchte ich Tätowierer werden“, verrät er. Wie sein erstes Motiv aussehen soll, steht schon fest: „Ich würde mir einen Leuchtturm stechen lassen, zur Erinnerung an meinen Großvater. Der ist auf der Insel Hiddensee aufgewachsen und war ein Küstenmensch.“ Oben oder unten, die Frage stellt sich nicht. Norden ist immer oben. Reformation trägt auch ein Leuchtturm statt einer Kirche.
Fotos: Andreas Bell, ERN Media (8) / flickr (1)