Gewöhnlich wird Reformation zur Männersache erklärt: Luther, Melanchthon, Bugenhagen, Jonas, Spalatin, Cranach. Die Wittenberger Mannschaft war das, was sie war, auch wenn Frauen in der Reformation, insbesondere aber in der Zeit danach, ein erhebliches Wörtchen mitredeten. Auf die Zeit danach, sehr lange danach um genau zu sein, will ich hier eingehen. Mein Name ist übrigens Theo. Ich bin Mönch.
Auch wenn mir die jungen Frauen in diesem Beitrag den Rang ablaufen, gebührt mir doch zumindest die Ehre, die Geschichte Martin Luthers in einem Comic nachzuerzählen. Das verdanke ich Tabea Widmann und Nicole Wöhrle aus Augsburg. Sie haben mich geschaffen, als das Thema Reformation in den Fokus ihrer Schule rückte; sie heißt Anna Barbara von Stettensches Institut. Da geht es schon los mit den Frauen und der Bildung, beides brachte die Reformation ja auf eine Ebene. Tabea und Nicole waren Schülerinnen im Kunst-Leistungskurs und sie erklärten sich bereit, die Rahmenhandlung eines Luther-Comics zu zeichnen. Im Klartext: wie sich die Reformation abspielte.
18 weitere Schülerinnen – das Stetten-Institut ist eine Mädchenschule – aus zwei Abiturjahrgängen bearbeiteten einzelne Ereignisse: Den Thesenanschlag, den Wormser Reichstag, Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora oder seine Augsburger Begegnung mit dem Gesandten des Papstes, Kardinal Cajetan, 1518. Dem kündigte er an, die 95 Thesen keinesfalls zu widerrufen. Das Ereignis war für Augsburgerinnen natürlich gesetzt, auch wenn keine von ihnen dabei war. Aber dass sich die Geschichte so greifbar nahe abgespielt hat, ist doch bemerkenswert. Es machte den Einstieg in die Geschichte leichter.
Die Reformation in Textblöcken im Comic einzublenden, die Variante gefiel Tabea und Nicole jedoch nicht. Deshalb kamen sie auf mich, der nahe genug am Geschehen ist, um es glaubwürdig nachzuerzählen, und der sich in Luthers Lage versetzen konnte. Als Mönch, als Mann, als Zeitgenosse. Ich gestehe, alles was Luther gesagt und publiziert hat, würde ich nicht unterschreiben. Das müssen die Mädchen gespürt haben. Ich durfte mich von dieser oder jener Äußerung des Reformators distanzieren, etwa bezüglich der Bauernkriege. Ich bleibe trotzdem ein Fan des Prinzips Reformation. Ändern verändert! Ein Fan meiner Schöpferinnen bin ich sowieso, obwohl sie mir zuerst den „altertümlichen, aber witzigen“ Namen Kunibert verpasst haben. Ehe der fertige Comic in Druck ging, bekam ich zum Glück ein Namens-Upgrade. Jetzt heiße ich Theodor.
Jede Schülerin, die am Comic mitzeichnete, wählte sich ein Ereignis aus und setzte es um. Bei manchen Kapiteln darf man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Nicole und Tabea begründeten das mit „künstlerischer Freiheit“. So kommt es, dass Luther und Katharina nach ihrer Hochzeit in die Flitterwochen fahren. Als wäre das nicht schräg genug, geht die Reise ausgerechnet nach Italien. Nie im Leben wäre Martin Luther auf die Idee gekommen, frisch vermählt beim Papst vorbeizuschauen. Gut gefällt mir aber, dass ein Reporter einer „Kirchenzeitung“ als Folge der Veröffentlichung von Luthers Thesen über Pressefreiheit nachdenkt. Wenn ich heutzutage die Vorwürfe gegenüber der „Lügenpresse“ höre, wird es höchste Zeit, dasselbe zu tun. Oder dass jemand wie der „Professor“ im Comic die Inhalte der Thesen modern zusammenfasst. Daraus kann wirklich jeder ableiten, dass reformatorisches Verhalten auf jeden von uns zutrifft, der sein Hirn gebraucht, um sein Leben in die Hand zu nehmen.
Wie prägend der Glaube für Martin Luther war und welche Kräfte Glaube in uns freisetzt, kommt dadurch auch rüber.
Nicole sagte mir jüngst, ihre Forderung für ein Reformations-Update 2017 sei, dass wir einander zuhören:
„Es ist schwieriger geworden, für seine Meinung einzustehen. Stattdessen bekommen man häufig eine Meinung aufgedrückt, ohne die Möglichkeit, sich zu informieren. Das schadet der Meinungsfreiheit! Außerdem geht der Wert der eigenen Haltung verloren, man wird gleichgültiger. Das finde ich nicht gut.“
Da hat Nicole recht. Geht mir genauso. Und Tabea auch, denn sie fordert:
„Fragt uns einfach! Um eine Meinung zu entwickeln, braucht es jemanden, der fragt! Junge Menschen, die wahrgenommen werden, trauen sich mehr zu. Sie sind bereit sich zu engagieren.“
Beide bemerken, dass sie in der Schule „selten Position zu einer Sache beziehen mussten“. Das ist eine andere Obrigkeitskritik als die, die Luther 1517 vorbrachte, aber das Prinzip ist dasselbe. Jeder Mensch ist etwas wert! Die persönliche Erfahrung motiviert, ob im Glauben an Gott wie bei Luther, im Unterricht, in der Familie oder im Beruf: Wer gesehen wird, merkt, dass er etwas bewirken kann. Tabea hat das ganz praktisch auf eine Demo gegen die Studiengebühren an der Universität Augsburg bezogen. Sie hatte sich beteiligt und ihr war bewusst, dass sie Professoren begegnen könnte, die von die Kritik der Hochschüler genervt waren. So kam es. Negative Folgen, zum Beispiel eine schlechte Note, bekam Tabea aber nicht zu spüren. Meinungsfreiheit ist schließlich ihr gutes Recht. Die Studiengebühren wurden inzwischen abgeschafft.
Tabea vergleicht:
Je älter ich werde, desto häufiger komme ich in Situationen, die mir bewusstmachen, welche Folgen es haben kann, seine Meinung zu äußern. So lebensbedrohlich wie Luthers Lage, als er in Worms vor dem Reichstag und dem Kaiser Stellung zu seiner Lehre bezog, ist die Situation selten. Umso größer ist mein Respekt vor Luther, obwohl er auch ein Mensch mit Fehlern war. Er hätte sich das Leben durch Lügen einfacher machen können oder indem er seine Schriften widerruft. Das tat er nicht.
In der Person Martin Luthers gibt es einige Widersprüche. Sie war so facettenreich wie die Kapitel des Comics, jedes hat einen anderen Stil und eine andere Handschrift. Manche sind überzeichnet. Was Reformation ausmacht, ist eine Frage der Perspektive.
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