Luther widerruft?

Jewish Star of David

„Meinung war nicht mehr erwünscht, sondern Mainstream“, sagt Axel Große. Er spricht über das 16. Jahrhundert und die Frage, warum jeder, der das  Reformationsjubiläum 2017 mitgestaltet, häufig mit dem Vorwurf konfrontiert ist, dass Martin Luther, „der böse Antisemit“, keineswegs gefeiert werden muss. Soll. Darf. „Das ist dann oft auch die einzige Wahrheit über Luther“, erlebt der Erfurter, sobald er nachhakt. Er warnt:

„Die Reformation basierte auf den Konflikten ihrer Zeit. Wenn man sie heute bewertet, dann vom Urspung her, nicht auf der Basis einer Meinung, die schon feststeht.“

Axel Große hat „Luther und die Juden“ regelmäßig auf dem Zettel. Er bearbeitet das Thema mit Jugendgruppen, auch mit „Tandems“, Schülern aus einem west- und einem ostdeutschen Bundesland. Der Politikwissenschaftler gehört zum Team der DenkWege zu Luther, das an den evangelischen Akademien Sachsen-Anhalt und Thüringen angedockt ist, und  Jugendlichen die Reformation darstellt. Oder: Klarstellt. Axel Große sagt: „Wir müssen das machen, sonst macht das keiner.“

Axel Große (l.) ist in Thüringen für die DenkWege zu Luther zuständig, sein Kollege Carsten Passin arbeitet mit Jugendgruppen in Sachsen-Anhalt.

Das Gespräch macht aus dem schweren unbequemen Stoff eine sprudelnde Geschichtenquelle. Das hängt damit zusammen, wie Axel Große das Thema erzählt, und dass er – als Nicht-Theologe – Luthers Texte zwar zitiert, aber nicht voraussetzt. „Das kann ich von niemandem verlangen.“ Ungnädiger wird der gebürtige Sachse, wenn er merkt, dass Äußerungen keine Grundlage haben. „Wir haben Meinungsfreiheit aber keine Meinungen“, habe ein Schüler einmal zum Abschluss eines Seminares festgestellt. „Das trifft es“, ergänzt der Dozent.

supermannZweimal hat sich Martin Luther diskriminierend über Juden geäußert, populistisch. 1523 und 1543. Seine Sätze waren das Einfallstor für den Antisemitismus im Verlauf der Geschichte, sie machten Hass und Ausgrenzung salonfähig. Axel Große benutzt dann den Ausdruck „konsequente Historisierung“ und meint dass, wer Zitate verwendet, den Zeitpunkt, zu dem Luther sie aussprach, einbeziehen soll.

„Martin Luther muss man nicht mögen. Aber so wie er war, war seine Zeit. Ihn isoliert zu zitieren, ist falsch.“

Der Reformator schrieb 1523 dass Christus ein geborener Jude sei, um gegen die Papstkirche Stimmung zu machen. „Er hat Verständnis dafür, dass die Juden die Integration verweigern, weil die Kirche so ist, wie sie ist“, fasst es Axel Große in eigene Worte. Festgefahren. Engstirnig. Reformatorenschelte gegen das Establishment, die später zum Beweis für den antisemitischen Luther geführt wird. „Er war kein Judenfreund, aber keiner störte sich an dieser Haltung. Darauf kam es Luther 1523 nicht an. Europas Herrscher hatten die Juden aus ihren Ländern vertrieben. Wer sie duldete, ließ sich das bezahlen. Der soziale Abstieg der jüdischen Bevölkerung, ihre Geschäfte mit den Armen, wurde ihr dann auch noch zum Vorwurf gemacht. Trotzdem finde ich es falsch, Luther zu unterstellen, was man aus heutiger Sicht gerne hätte.“

passover

1543 rechnet der 60 Jahre alte Reformator mit „den Juden und ihren Lügen“ ab. Axel Große plädiert dafür,  Schülern zu erklären, „wie es passieren konnte, dass er seine Meinung komplett geändert hat“.

„Einer sagt was und 20 Jahre später behauptet er das Gegenteil, das macht er nicht einfach so. Luther war verbittert darüber, dass die Reformation eine diffuse, schwer fassbare Bewegung geworden war.“

Sie hatte die Kirche gespalten, radikale Gruppen in der Bevölkerung zu Gewalt motiviert und den Judenhass geschürt. Luther folgte dem Mainstream, „er redete wie die, die dazugehörten. Nachdem er gemerkt hatte, dass seine Meinung nicht mehr erwünscht war“, sieht es Axel Große. So gesehen hat der Reformator dieses Mal seine Haltung widerrufen.

Zum Abschluss des jüngsten Seminars entschlossen sich die Schüler zu einem Planspiel. Sie simulierten einen Prozess vor Gericht. Der Angeklagte: Martin Luther. Der Vorwurf: Schuldig am Holocaust. Die Neunt- und Elftklässler verteilten sich auf Kläger und Verteidiger. Beide Seiten lasen die Luther-Texte von 1523 und 1543, verglichen ihre Haltung mit den Quellen. „Schätzen Sie mal, wie der Prozess ausging?“, fragt Axel Große. Er lächelt. Trotzdem wird Martin Luther vom antisemitischen Vorwurf nie ganz freigesprochen sein. Er ist Teil der Geschichte.

Fotos (3): Flickr

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