Die weißen Flecken im Mansfelder Land werden weniger. Mehr und mehr Fotos erscheinen auf der virtuellen Landkarte zwischen Ahlsdorf und Zaschwitz – wie auf einer Pinnwand. Die meisten Bilder „stapeln“ sich an den größeren Orten Eisleben und Hettstedt. Verbunden sind sie durch Weglinien, die sich wie rote Fäden über ehemalige Halden ziehen. Der Bergbau hat die Region jahrhundertelang geprägt. Das Mansfelder Land war auch Martin Luthers Revier. Das Projekt „Luther-Trip” des Medienkunstvereins Werkleitz bürstet die Erwartungen an eine Veranstaltung zum Reformationsjubiläum jedoch gegen den Strich.
Das macht es außergewöhnlich. Und nachhaltig. Denn die Touren durch Martin Luthers Heimatregion sind kein Erlebnis, das mit 2017 steht und fällt. Sie machen zuvor und auch danach Sinn und Spaß. Sie erschließen den Landstrich zwischen Saale und Südharz so, dass der Reformator die Etappen zwar begleitet, aber nicht einnimmt. Die Umsetzung des „Luther-Trips” als App mit zugehöriger Webseite richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene. Schüler*innen oder Studierende gestalten die Inhalte selbst: Sie fotografieren, schildern ihre Eindrücke als Podcast oder schreiben kurze Texte. Werkleitz pflegt sie ein. Beim Scrollen auf der Webseite verbinden sich die Beiträge mit dem vergrößerten, passenden Kartenabschnitt. Wieder ist ein weißer Landkartenfleck Geschichte.
Lutherstadt Eisleben: Wo wir auch sind, von überall her starrt uns das Konterfei des Reformators an. Von Frühstücksbrettchen, aus Fenstern und von Wänden, drinnen wie draußen. (…) Die Kirche steht leer, sie wurde zwar durch das Engagement einer Bürgerinitiative vor dem Verfall gerettet, ihr Inventar ist jedoch längst auf andere Kirchen der Lutherstadt verteilt. Wir umkreisen den Bau aus hellem Sandstein, der im 15. Jahrhundert errichtet worden ist. Eisleben wuchs in dieser Zeit und das Nikolaiviertel war eine wichtige Stadterweiterung. Heute geht Eislebens Einwohnerzahl zurück. Sie hat sich seit 1990 von 35 000 etwa um ein Drittel reduziert.
(Auszug der Tour#11: Von Luther, Schlacke und schönen Aussichten)
Die Einträge vermitteln, was das Mansfelder Land ausmacht, gesehen mit den Augen der jungen Generation, vermittelt durch sie. 500 Jahre nach Luther beschreibt das Ergebnis eine Gegend, in der „wenig los ist und junge Leute eher wegziehen”, sagt Cornelia Hänchen, „Luther-Trip”-Projektleiterin bei Werkleitz. Auch sie lebt in Halle, kennt aber alle zwölf Touren. Je nach Exkursion begleiten einer bis drei Mitarbeiter des Medienkunstvereins die Teilnehmenden. Die Etappen lassen sich innerhalb eines Wochenendes oder sogar als Tagesausflug gut bewältigen. Auf der Webseite gibt es zu jeder Route eine virtuelle Quartettkarte, auf der Strecke, Dauer und die Beschaffenheit der Wege genannt sind. Nicht unwichtig, falls Teilnehmer lieber in die Rad-Pedale treten wollen, statt zu Fuß Luthers Revier zu durchqueren.
Cornelia Hänchen vernetzt sich mit interessanten Ansprechpartnern vor Ort, die dann die Gruppe treffen oder sie beherbergen, etwa auf einem ehemaligen Rittergut, in einer alten Mühle, in einem restaurierten Schloss. „Unterwegs stoßen wir auch auf Menschen, mit denen man einfach so ins Gespräch kommt. Solche Begegnungen lassen sich nicht planen. Sie passieren einfach.” Vielfach berühren sie die Jugendlichen sogar stärker als das – einigermaßen erwartbare – Vermächtnis Luthers. Ein Beispiel dafür sind die drei alten Bergmänner auf einer Bank, „die den Tag damit verbrachten, sich Anekdoten zu erzählen und zu beobachten, wer vor ihrer Nase vorbeiging“. Ein Bild, das die Stimmung in der Region gut vermittelt habe.
Martin Luther erlebte seine Kindheit im Mansfelder Land, dort ist er geboren, zur Schule gegangen, dortin kehrte er als Erwachsener immer wieder zurück, um seine Eltern zu besuchen. Auch seine letzte Reise führte 1546 nach Eisleben. Daraus wurde 467 Jahre später einer der zwölf Luther-Trips. „Luthers kalte Stelle“ heißt die 35 Kilometer lange Etappe von Halle nach Eisleben:
Luther selbst beschreibt, dass ihm bei “Rißdorf, hart vor Eisleben” ein kalter Wind in die Kutsche gefahren und das Hirn zu Eis gefroren sei. Seine Begleiter berichten auch von Muskelkrämpfen im Arm und einem plötzlichen Schwächezustand des Reformators – Anzeichen einer Angina pectoris und Vorbote des Todes Luthers.
(Tour #9, Luthers kalte Stelle)
Wenn Menschen aus Eisleben, Klostermansfeld oder Salzatal heute über das sprechen, was ihre Region ausmacht, belegt der prominente Landsmann einen der hinteren Plätze. Cornelia Hänchen erlebt das in den Gruppen, während sie ehemalige Halden erwandern oder abends am Lagerfeuer ihre Eindrücke schildern. Es sind die einer anderen Reformation, eines sozialen Wandels, der alle bewegt. Luthers Revier versetzt – wieder – Berge.
Die Projektidee „Luther-Trip“ stammt von den Werkleitzern. Der 64 Mitglieder zählende Verein aus Halle ist den Ansprüchen der Zielgruppe gerecht geworden; in diesem Fall mit dem Brückenschlag zwischen Geschichten erzählen und der Möglichkeit, eine persönliche Erfahrung, digital aufbereitet, zugänglich zu machen. Und den entsprechenden Weg „zu tracken“.
2013 ging die Webseite online, ihr Server steht in Deutschland. Datenschutz war Werkleitz wichtig, weil es Jugendliche sind, die ihre Fotos und Geschichten hochladen. Zwei Jahre lang begleitete die Landesvereinigung kulturelle Jugendbildung Sachsen-Anhalt das Vorhaben als Mitinitiatorin, seit 2015 managt es der Medienkunstverein eigenverantwortlich, mit Fördergeldern unter anderem aus dem Reformationstopf des Landes und des Landkreises Mansfeld-Südharz. Zehn bis zwölf geführte Exkursionen pro Jahr sind dadurch möglich. Die Teilnehmenden müssen nichts bezahlen. Ein tolles Angebot. Cornelia Hänchen aber sagt: „Das Interesse der Schulen könnte noch größer sein.”
Dabei sind die Streifzüge durchs Mansfelder Land voller einprägsamer Momente. Wie im Falle des Schülers, der es genoss, „zu Fuß unterwegs zu sein, denn in Halle fahre ich nur Straßenbahn“. Oder die Schilderung eines orange leuchtenden Tales, die sich – statt auf einen romatischen Sonnenuntergang – auf die industrielle Vergangenheit der Region bezog:
Natürlich erzählt der Wirt auch von Bergbau und Hüttenwesen, »wenn früher abends oder nachts das Tal orange leuchtete« … »weil gerade die glühende Schlacke auf Halde den Hang runter gestürzt wurde …«. Wir verabschieden uns und schauen uns draußen noch die Freilichtbühne an, selbst die Sitzreihen der Arena sind aus Schlacke.
(Tour #11: Von Luther, Schlacke und schönen Aussichten)
Tipp: Eine Ausstellung mit Bildern aller Exkursionen 2014 und 2015 wird von 1. Februar bis 31. Oktober 2017 in der Landesvertretung Sachsen-Anhalts beim Bund in 10117 Berlin, Luisenstraße 18, gezeigt. Eintritt frei!
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Werkleitz e.V.