Feste Schuhe sind eine gute Voraussetzung für die nächtliche Flucht aus dem Kloster. „Obwohl die Strecke bis zum wartenden Wagen überschaubar ist”, urteilt Maike Wehmeier. Turnschuhe für Katharina von Bora und Co., so abwegig findet die 15-Jährige den Gedanken aber nicht. „Die Nonnen damals waren fit, im Sinne von modern!” Maike spielt eine von ihnen.
Die junge Ordensschwester ist an diesem Nachmittag allerdings nicht auf dem Sprung oder gar auf der Flucht. Den Habit hat Maike für ein Foto übergezogen, danach macht sie es sich auf einer Bank im Garten bequem, wieder in Jeans und T-Shirt. Spielpause. Maike Wehmeier alias Schwester Martha steht im Musical „Katharina Lutherin” auf der Bühne, demnächst sogar in Siebenbürgen, wohin das Ensemble aus Groß Bisdorf bei Greifswald im Herbst 2016 tourt. Die Schülerin gehört quasi zu den Routiniers der Gruppe, im vorigen Jahr war sie bereits bei der Inszenierung „Martin Luther” mit von der Partie, „damals als Kaiser Karl V.”, berichtet sie professionell-unaufgeregt, als sei der Chef Europas zum Zeitpunkt der Reformation darstellerisch ein Klacks gewesen, ein kleiner Fisch. Beim Stichwort klein nickt Maike allerdings heftig: Sie habe – kaiserlich gewandet – auf einem Podest stehend zu Martin Luther sprechen müssen, „weil der so viel größer war, als ich”. Robert Wild, der den Reformator spielte, misst 1,90 Meter. Zu ihm aufzublicken, stand dem Kaiser nicht gut, zumal sich beide einen fetzigen Reformations-Rap auf Augenhöhe lieferten.
Ein vergleichbares Rededuell vor dem Reichstag in Worms 1521 fand nicht statt. Luther hielt sein Plädoyer für die Sache der Reformation alleine. Karl V. reagierte in schriftlicher Form. Nicole Chibici-Revneanu (Musik) und Stephanie Schwenkenbecher (Text), die sich die Musical-Trilogie ausdachten – 2017 folgt ein Stück über Johannes Bugenhagen – haben den historischen Stoff aber so zugeschnitten, dass er Lust auf das Thema Reformation macht. Auch einem Publikum, das außer dem Namen Martin Luthers wenig mit der Epoche vor 500 Jahren verbindet. Eine gute Idee, die im gesamten Mecklenburger Raum für volle Säle sorgte.
Der eingängige Kaiser-Rap dürfte nicht nur Maike Wehmeier im Ohr geblieben sein, ebenso die Anekdote, in der sich Luther während der Proben verhaspelte und statt „reuiger Sünder” die „räudigen Sünder” besang. „Martin Luther, Gangstarapper”, murmelt Maikes Bruder Kai, während er sich zu ihr auf die Bank setzt und zuhört, wie sie das Thema Reformation aus heutiger Sicht bewertet:
„Luther hat sich echt was getraut. Er hat die Menschen dazu gebracht, über das Verhältnis von Kirche und Staat nachzudenken – und was damit nicht mehr stimmte: Dass Gott zum Machtinstrument geworden war.”
Das, ergänzt ihr Bruder, vermittle die Aufführung. „Man kann sich die Reformation aus der Nähe angucken.” Die Fortsetzung „Katharina Lutherin“ zeige indes, „was Freiheit ist. Freiheit heißt mehr Arbeit, weil man sich um sein Leben kümmern muss. Aber das ist super”, formulieren es die Geschwister – und vergleichen die Situation mit dem Erwachsenwerden: „Man übernimmt mehr Verantwortung und wird ernster genommen.”
Im Stück motivieren Katharina von Bora und die fiktive Schwester Martha eine Gruppe junger Nonnen im Kloster Nimbschen, das Weite zu suchen, nachdem sie sich mit Martin Luthers Schriften befasst und ihn um Hilfe gebeten haben. Als Verbündeten schickt er den Torgauer Kaufmann Leonard Koppe, der die Frauen auf seinem Pferdegespann versteckt und sicher nach Wittenberg bringt. Im Jahr 1523 ein hochverräterischer Akt, der auch Haft oder den Tod hätte bedeuten können. Kai Wehmeier, der den Koppe spielt, sagt trotzdem:
„Ich würde es genauso machen. Vor der Reformation interessierten sich die Menschen wenig dafür, was um sie passierte. Dann bewegte sich etwas und die Erfahrung, dass sie die Welt gestalten können, riss alle mit.”
Maike, Kai und ihre etwa 30 Kolleginnen und Kollegen im Ensemble sind keine Profis. Einige haben durch den Gospelchor Bühnenvorsprung, andere treten zum ersten Mal auf. Die größte Herausforderung, resümiert Regisseurin Nicole Chibici-Revneanu, sei das Sächsische gewesen. Martin Luthers und vor allem Katharinas Muttersprache ging den Greifswaldern erst mal schwer über die Lippen.
INFO: Gruppen, die eines der beiden Luther-Musicals selbst einstudieren wollen, können Texte und Noten kostenfrei bei Nicole Chibici-Revneanu beziehen, Kontakt: chibici-revneanu@web.de