Martin Luther und die Reformation in ihrer weltweiten Wirkung sind jungen Menschen zu weit weg oder werden zu geschichtslastig erzählt. "Mensch, Martin!" ändert das. Wir beweisen, dass Reformation etwas wert ist und Veränderungen damals genauso wie heute von Menschen ausgehen! Von euch! Ein Projekt des Pressenetzwerks für Jugendthemen (PNJ) e.V.
Das mulmige Gefühl ist da, sobald Zoë Hagen eine Bühne betritt. „Ich bin keine Performerin“, stellt sie klar, „ich bin nicht der Typ, der oben stehen m-u-s-s.” Sie macht es, „weil mir die Botschaft wichtig ist.” Was Zoë mit Martin Luther verbindet, ist: genau das.
Mit der Macht der Worte ist sie vertraut. 2015 hat die 21-Jährige den Luther-Poetry-Slam „Mach’s Maul auf” in Leipzig gewonnen. Das beklemmende Gefühl, das Zoë auf der Bühne beschleicht, stellte sich damals auch bei den Zuhörern ein. Sie erlebten einen ergreifenden Text, der von Rassismus handelte – und davon, sich seine Meinung nicht vorschreiben zu lassen. An diesem Punkt sieht sich Zoë in der Tradition der Reformation. „Du musst zu deinem Wort stehen. Deine Meinung ist, was dich ausmacht.” Das beweise das Beispiel Luthers, für dessen Auftritte, etwa vor dem Wormser Reichstag und dem Kaiser, 1521, Zoë Hagen die Formulierung „wahnsinnig mutig” verwendet. Dieser Mut toppe die beste Performance, urteilt die junge Autorin, die vor dem Poetry Slam im Internet Luthers Biografie quergelesen hatte. Am meisten bewegte sie ein Zitat aus dem Großen Katechismus, „woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott”, heißt es dort. „Da war mit klar: Der Mann hat erstens recht und zweitens braucht mein Text einen persönlichen Bezug, um wirklich zu sein.”
Mehr Botschaft, weniger Performance: Zoë Hagens Auftritt beim Luther-Poetry Slam „Mach’s Maul auf!“. Foto: Sandrino Donnhauser.
„Unsere Gesellschaft ist komplex, globalisiert, multikulti. Etwas unübersichtlich manchmal.”
Als Zoë Hagen 14 Jahre alt war, schüttete ihr ein Mitschüler Wasser ins Gesicht. Was die Pubertät nicht entschuldigte, war seine Begründung: Er habe sie sauberwaschen wollen. Zoë ist farbig, ihr Vater, ein Regisseur, stammt aus Nigeria. Selbst im weltoffenen Berlin, wo sie geboren und aufgewachsen ist, fühlte sich Zoë mit einem Mal „nicht mehr wohl in meiner Haut”. Wird sie inzwischen nach ihrer Herkunft gefragt, führt sie ihre Familiengeschichte nur aus, „wenn ich gute Laune habe”. Dann berichtet Zoë auch wie ihre Mutter, eine Schauspielerin, sie zu ihrem ersten Poetry Slam schleppte, der damals noch „keinen bleibenden Eindruck” bei der Tochter hinterließ. Was sie indes früh prognostizierte, war der Wunsch, Autorin zu werden. „Ich komme ja quasi aus einer Künstlerfamilie”, sagt sie schelmisch. Perspektivisch will Zoë Hagen Drehbuch studieren.
Danach gefragt, was von der Reformation geblieben ist, antwortet die junge Frau: „Die Werte. Was ich bin, woran ich glaube.” Diese Verbindung zu erkennen, falle aber ziemlich schwer. „Unsere Gesellschaft”, versucht Zoë eine Erklärung, warum das Thema bei vielen jungen Menschen durchfällt, „ist komplex, globalisiert, multikulti. Etwas unübersichtlich manchmal.”
Die Macht der Worte war zu Martin Luthers Zeit der Wertekompass. Welche Lesarten sich 2016 ergeben, hinterfragt der gleichnamige Schreibwettbewerb, der sich an Studierende richtet. Sprache, Lutherworte oder Schreiben als Technik – sind das 500 Jahre nach dem Thesenanschlag noch die Medien, die eine Vision Wirklichkeit werden lassen? Und wenn, wie?
Zoë hat für sich festgelegt, „mir nie zu wünschen, was ich nicht bin, sondern so zu sein, wie ich bin”. Die Erfahrung, als Schülerin nicht zu genügen, weil sie Schwarz ist, grub sich tief in ihr Bewusstsein. Verarbeitet hat sie sie in ihrem jüngst erschienenen Romandebüt, Tage mit Leuchtkäfern. Dessen Protagonistin, Antonia, leidet an einer Essstörung. „Sie hat meine Gefühle, auch wenn es nicht ganz meine Geschichte ist”, sagt die Autorin. Antonias Therapie sind die Figuren, die sie im Verlauf der Erzählung trifft. Wie Werte, die Gestalt annehmen. Die Entwicklung habe sie selbst überrascht, gesteht Zoë Hagen „und motiviert, weiterzuschreiben. Martin Luther ging es mit der Wirkung seiner Thesen vielleicht ähnlich.”
Der EssaywettbewerbDie Macht der Worte läuft bis zum 1. November 2016. Eingereichte Beiträge, die eine Jury bewertet, sollten maximal vier A4-Seiten lang und in deutscher Sprache verfasst sein. Aufgefordert sind studentische Teilnehmer*innen zwischen 17 und 30 Jahren, die ihre fertigen Texte an die Staatliche Geschäftsstelle Luther2017 schicken: wettbewerb@luther2017.de Die besten Texte werden prämiert und veröffentlicht.