Schwupps ist Luther kein Sachse mehr, sondern Pfälzer. Benjamin Link (17) setze sich beim Casting unter 40 Mitbewerbern durch. Er spielt Martin Luther. Im Alltag geht Benjamin in Ludwigshafen zur Schule. Seinen Einsatz als Reformator hat er an den Wochenenden, wenn geprobt wird.
So hält es das gesamte Ensemble des Musicals „Luther – Mensch zwischen Gott und Teufel”. Alle Darsteller, Chor- und Bandmitglieder, sind Jugendliche und junge Erwachsene. Benjamin wird seinem Namen gerecht, er zählt zu den jüngstem im Team. Das Gros seiner Kollegen ist Anfang bis Mitte 20, so auch Lea Siegfried, die Regisseurin der Produktion, und Jonas Klamroth. Er hat die rockige Version der Reformation komponiert. Am 7. und 8. April 2017 wird sie aufgeführt.
Wie es sich für den Mann, der die Bibel ins Deutsche übersetzt hat, gehört, singt Martin Luther Deutsch – jüngst. Das war anfangs anders. Zunächst stimmte er seine Vision als „My dream“ an. Daraus ist „Mein Traum“ geworden. Die ersten Songs schrieb Jonas bereits 2011, auf Englisch, „weil die englische Sprache besser zur Rockmusik passt. Und sie entsprach damals, mit 18, meinen Hörgewohnheiten.“ Dann aber wollte der inzwischen 23-Jährige Luthers Verdienst um die deutsche Sprache würdigen – und „reformierte“ sein Werk, unterstützt von Lea Siegfried, „die sich sprachlich noch besser ausdrücken kann, als ich”, gesteht Jonas. Deshalb, fand er, gebührte ihr der Posten der Regisseurin.
Lea und Jonas kennen sich aus der gemeinsamen Gymnasialzeit in Kaiserslautern. Während sie Rheinland-Pfalz die Treue hält und dort eine Ausbildung zur Physiotherapeutin macht, hat es Jonas ins badische Karlsruhe verschlagen. Er studiert dort Informatik, das Fach, das ihn neben der Musik am meisten interessierte – und mehr Jobperspektive bot: „Es ist leichter, ein Informatiker zu sein, der nebenbei gute Musik macht, als ein Musiker, der nebenbei Informatik macht.”
Uraufgeführt wurde das Musical bereits im Oktober 2011. Im Kanon der Reformationsjubiläumsprojekte ist es damit fast ein Oldie. Doch gerade weil 2017 das Augenmerk so stark auf die Ereignisse vor 500 Jahren gerichtet ist, nahmen Lea und Jonas den neuen Anlauf, überarbeiteten die Texte, tauschten Lieder aus, strichten zwei Rollen und machten sich auf die Suche nach neuen Darstellern. Diese mussten sich in mehrstündigen Castings beweisen – mit der Aussicht, keinen Cent für ihr Engagement zu bekommen. Alle sind freiwillig dabei. Keiner möchte seinen Einsatz missen. Auch Philipp Melanchthon (Christoph Schmith) nicht, der bereits bei der ersten Produktion mitwirkte. Damals als Luther.
Was macht die historische Person des menschlich nicht ganz einfachen, hitzköpfigen Mönchs, der meist die richtigen Worte fand aber sich auch mal im Ton vergriffen hat, so interessant? Jonas sagt:
Martin Luther hat sich getraut, dem Establishment zu widersprechen. Er appellierte an die Menschen, kritisch zu sein und kritisch zu denken. Das ist wichtig für eine Gesellschaft. Die Reformation meint, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.
Dass die Methoden des – späten – Luther teilweise fragwürdig waren, spart Jonas nicht aus, auch nicht in seinem Musical, dessen Handlung mit dem Bauernkrieg 1525 endet. Damals sah Martin Luther das von ihm zuvor kritisierte „Establishment“ berechtigt, gegen die aufständischen Bauern vorzugehen. Im Stück reflektiert Luthers jüngerer Bruder diese Haltung – und bricht daraufhin mit dem älteren.
Selbst auf der Bühne stehen wollte er nicht, gesteht Jonas Klamroth. „Ich habe keine so gute Singstimme.“ Stattdessen widmet er sich der intensiven Probenarbeit mit der Band, während Lea Siegfried die Schauspielproben leitet. Den Chor managt Simon Gräber, den sich das Kaiserslauterer Duo zur Verstärkung aus dem benachbarten Saarland rangeholt hat. Simon studiert Musik. Das Genre Musical, da sind sich dessen junge Macher einig, transportiere den schweren historischen Stoff ansprechend ins 21. Jahrhundert. Jonas ergänzt:
Rockmusik erlaubt einen starken Bezug zur Stimmung Luthers, die oft zwiespältig und zerrissen war.
Darsteller, Sänger, Musiker, Kostüm- und Maskenbildner, Bühnenbauer – auf rund 60 junge Aktive kommt die Produktion, die von der evangelischen Landeskirche Rheinland-Pfalz mit einer fünfstelligen Summe gefördert wird. Das erklärt, warum die Aufführungen 2017 in der Stadthalle Speyer stattfinden werden, statt etwa im benachbarten Reformations-Hotspot Worms. Die Domstadt Speyer ist Sitz der Landeskirche. Im Musical macht sich Martin Luther gleichwohl nach Worms auf und singt sich Mut zu, sich nicht durch die Drohungen der katholischen Kirche einschüchtern zu lassen.
„Das finanzielle Volumen des Projekts stemmt keine einzelne Gemeinde“, weiß Jonas, der das Stück 2017 dennoch an weiteren Standorten aufführen wollen würde. Der Verein Talent-Acker, dem er und Lea Siegfried angehören, und dessen Mitglieder sich logistisch und ideell bei dem Musical einbringen, „vom Kartenvorverkauf bis zum Einlass“, hat „große Häuser angesprochen, und dabei mit dem zu 100 Prozent ehrenamtlichen Jugendprojekt geworben“. Interesse? Fehlanzeige.