Der Mann der Epoche

Die Reformation trug Bart. Wer vor 500 Jahren ein richtiger Mann war, ließ sich Haare im Gesicht stehen. Martin Luther setzte den Vollbart sogar als Tarnung ein, während er als Junker Jörg inkognito auf der Wartburg die Bibel ins Deutsche übersetzte. Bei Levin Klocker war der Bart indes ein Erkennungszeichen.

Zusammen mit der gestreiften Kappe, langen (Perücken-)Locken und dem Hemd mit der Kordel über der Brust, gleicht sein Foto aufs Haar dem berühmten Selbstporträt Albrecht Dürers! Ins Kostüm des Nürnberger Malers schlüpfte Levin Klocker als Darsteller im Reformations-Panorama Luther 1517 des Künstlers Yadegar Asisi. Seit 22. Oktober vermittelt es in Wittberg einen 360-Grad-Eindruck von den Ereignissen der Reformation.

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Daran, seinen Bart so lang zu tragen wie der junge Dürer, musste sich der gebürtige Bregenzer erst gewöhnen. „Das war eine Bartlänge, deren Gewicht man im Gesicht spürte“, erinnert sich Levin, mit 29 Jahren nur wenig älter als Albrecht Dürer in seinem Selbstporträt. Das malte er 27-jährig. Die äußerliche Ähnlichkeit beider Männer war Yadegar Asisi aufgefallen, deshalb hatte er Levin Klocker die Rolle des Malers angetragen. Ein Projekt, zwei Auftritte, einen davon hinter den Kulissen, den anderen mittendrin. Eigentlich war Levin, der nach dem Master an der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder in Berlin blieb und seit 2014 als Kulturmanager für Yadegar Asisi arbeitet, mit der Organisation und Logistik der Luther-Fotoshootings schon gut beschäftigt; etwa mit der Auswahl der Bärte. „Die Menschen des 16. Jahrhunderts hatten viel Haar, auf dem Kopf und im Gesicht“, weiß er inzwischen. Leibhaftig.

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Etwa 70 Komparsen und zwei große Shootings – davon eins an Originalschauplätzen in Wittenbergs Altstadt, das andere wetterunabhängiger in einer Halle in Berlin – waren nötig, die Umbruchstimmung des Reformation ins Bild zu setzen. „Es ist das erste Panorama, bei dem der Schwerpunkt der Darstellung auf den Szenen lag, und weniger auf der Architektur und dem Blick in die Stadt“, vergleicht Levin Klocker mit vorangegangen Projekten in Leipzig, Dresden oder Rouen. Außerdem projiziert es keinen historischen Moment, sondern eine Ereigniskette. Bezogen auf die Reformation heißt das, Ablasshandel, Thesenanschlag, Bibelübersetzung, sämtliche Streiflichter sind einbezogen – gleichwohl immer am Schauplatz Wittenberg. Albrecht Dürer und der Maler Lucas Cranach stehen in einer Szene auf der Straße und unterhalten sich. Begegnet sind sich beide 1524 tatsächlich, allerdings in Nürnberg. Einem Streifzug durch das Zeitalter der Reformation spielt die „historische Verdichtung“, wie es Levin Klocker beschreibt, aber in die Hände. Die Bilder zeigen, dass Reformation ein Prozess war.

„Als Darsteller kam man noch mehr rein in eine Szene“, vergleicht es Levin rückblickend mit seinem Part als Organisator. „Schon das Kostüm anzuziehen, dauerte lange.“ Im Gedächtnis geblieben sind ihm das Gewicht der historisch nachgearbeiteten Kleidung und „die sehr feinsohligen Schuhe“. Während er als Albrecht Dürer so durch Wittenberg schritt, ging ihm die Stimmung vor 500 Jahren durch den Kopf: „Ich habe mich gefragt, wie ich mich verhalten hätte.“ Zum ersten Mal überhaupt habe er sich mit Reformation auseinandergesetzt – und dann gleich so intensiv. Sein Fazit:

Luther macht Geschichte greifbar. Mir ist bewusst geworden, dass es grundlegende Werte unserer Gesellschaft ohne die Reformation nicht gäbe. Ihre Botschaft lautet: Ein Umdenken ist möglich! Das Recht auf Selbstbestimmung eines Menschen, und die Gesellschaft immer wieder neu zu hinterfragen, sind universelle Gedanken, unabhängig von Epoche oder Raum. Menschen wie Rosa Parks, Gandhi oder Nelson Mandela dachten ähnlich. Ihnen war der Blick auf das große Ganze wichtiger als das eigene Leben.

Obwohl die Rolle des Albrecht Dürer Levin Klocker mehr Spaß gemacht hat, historisch gewichtiger war der zweite Part, den er übernahm, ebenfalls auf die Bitte Yadegar Asisis hin, der – neben Dürer – Levins Ähnlichkeit mit Philipp Melanchthon ausmachte. Der Mann der Epoche!

Melanchthon punktete damit, „dass sein Bart kürzer war als Dürers“. Levin Klocker schaffte es, beide Figuren parallel zu spielen, samt der zwei unterschiedlichen Bartlängen. Eine Maskenbildnerin half nach, aus Dürer Melanchthon zu machen und aus Melanchthon Dürer – und schließlich wieder Levin. Der betrachtet das fertige Panorama nun mit anderen Augen und „einem Interesse an der Reformation, das ich sonst nicht gehabt hätte“.

Fotos © Asisi / Rainer Justen, Tom Schulze.

 

 

 

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